(Der Brief war nicht geplant.)
Saratow, Osterdienstag 2011
Liebe Freunde in Deutschland, in der Schweiz und in Tschechien!
Ostern ist nicht vorbei, sondern hat nur angefangen, schon lange. Und wir haben uns feierlich daran erinnert. Schon wird es wieder alltäglicher. Der gestrige Ostermontag war in Russland Arbeitstag, und sogar in unserem liturgischen Kalender für Russland war gestern der heilige Markus als Motiv für die Liturgie angegeben: rotes Messgewand, Evangelium: „Geht hinaus in die ganze Welt“, … Wir haben beides gefeiert und in Marx für Pater Marcus gebetet. Er war vor 19 Jahren Zivildienstleistender in der Pfarrei und ist jetzt Pfarrer in Tscheljabinsk.
Um 11.00 Uhr hatten wir uns dort in Marx mit allen Priestern und Ordensleuten zum „Weg nach Emmaus“ verabredet. Davon aber ein wenig später. Vorher möchte ich noch etwas vom Ostersonntag erzählen.
Ich hatte vier Studenten zu Ostern eingeladen, drei Afrikaner, eine Inderin. Sie gehören zur Gruppe katholischer Studenten in Saratow. Alle vier studieren Medizin. Nach der Feier der Osternacht in der Kathedrale kamen sie mit zu mir nach Hause, wo die Schwestern noch ein zünftiges Osterabendessen vorbereitet hatten. Schon als ich die Teller und das Besteck sah, schein mir der Aufwand übertrieben. Ein Schock nach der Fastenzeit. Außerdem war es schon Mitternacht. Als ich aber kurz danach den Appetit meiner Gäste sah, wusste ich, dass die Schwestern ins Schwarze getroffen hatten. Im Studentenwohnheim kocht man selbst. Für 150 Personen pro Etage gibt es zwei kleine Küchen.
Ich möchte nicht alle Einzelheiten erzählen, sondern etwas Österliches. Wir waren dann den ganzen Sonntag über in Marx. Mary, die indische Studentin, lebt schon 5 Jahre in der Stadt Saratow und war noch nie draußen. Natürlich waren alle vier müde, als wir uns früh zeitig ins Auto setzten. Aber es ging lustig zu. Und als wir schon an den langsam grün werdenden Feldern vorbei fuhren, der 40 km langen Zielgerade vor Marx, fragten die vier, ob ich nichts dagegen hätte, wenn wir ein Stück vom Rosenkranz beten würden. Alle hatten einen Rosenkranz einstecken! Schon beim Frühstück im Kloster freundeten sie sich mit den Schwestern an. Die Ostermesse in der Kirche war sehr, sehr feierlich. Nein, nicht „steif“, sondern lebendig. Die ganze Gemeinde sang wie ein gut vorbereiteter Chor. In den Liedern waren Freude und Kraft. Wenn alles so „einfach“ zugeht, ist auch das Predigen nicht schwer. Wie man es in Russland in allen Kirchen so tut, begann ich auch die Predigt mit dem österlichen Gruß: „Christus ist auferstanden!“ Und die ganze Gemeinde antwortet laut rufend: „Er ist wahrhaft auferstanden!“ Daraufhin ich, beinahe leise ins Mikrofon: „Ah, das wisst ihr schon. Was kann ich euch dann noch predigen?!“ Weiter ging es darum, wie die Osterbotschaft mit dem Herzen liest, bzw. hört. Meine Gäste besuchten nach der Messe das Jugendhaus neben der Kirche. Afrikaner in Marx! Das ist bis zum heutigen Tag eine Sensation. Anschließend: Mittagessen, Ausflug an die Wolga, Vesper mit der Gemeinde in der Kirche, … und mit afrikanischen Ministranten, Auftritt der Kinder- und Jugendgruppen im Gemeindesaal, Abendbrot im Kloster, wohin auch die Jugendlichen eingeladen waren, die bei uns in Marx wohnen und eine Berufsausbildung machen.
Auf der Rückfahrt nach Saratow bedankte sich einer nach dem anderen und alle vier zugleich. Mary auf dem Beifahrersitz schlief bald ein. Die vielen Eindrücke des Tages und die – vielleicht lange nicht gemachte – Erfahrung von christlicher Freundschaft und Geborgenheit, ließen die (fast schon) Ärztin ruhen wie ein Kind. Einer der drei jungen Männer aus Tansania, Ghana und Mozambique, sagte: „Das war der schönste Tag in meinem Leben in Russland.“ Ein anderer: „Ich werde nach Hause anrufen und sagen, dass man in Russland seinen Glauben nicht verliert.“ Erklärend fügte er an: „Als ich zu Hause weg fuhr, verabschiedeten die mich wie zu einer Beerdigung. Ich wollte in Russland studieren, weil es da die Berufsrichtung gab, die ich suchte, und weil es da nicht so teuer ist, wie in anderen Ländern. Meine Eltern und die Verwandten machten sich Sorgen, weil sie dachten, dass ich einst ungläubig zurückkehren werde. Sie hatten doch von Russland gehört. Aber sie wissen nicht, dass es hier solche Leute gibt!“ Und etwa drei Kilometer vor dem Ziel, schon in den dunklen Straßen Saratows, scherzte einer mit wehmütigem Ton: „Oh, hier riecht es schon nach Wohnheim.“
Die Schwestern in Marx haben alle vier eingeladen, doch wieder zu kommen. Ich hoffe, dass das auch gelingt. Es war gut für uns alle.
So. eigentlich hatte ich ja mit dem Ostermontag begonnen. Jetzt noch einmal an der Stelle weiter. Gestern früh um 8.00 Uhr feierten wir also die Ostermontags- bzw. Sankt-Markus-Messen in Saratow und Marx. Dann sollten alle bis 11.00 Uhr in Marx eintreffen, von wo aus der traditionelle Ausflug nach „Emmaus“ geplant war. (Das Ganze ist seit Jahren ein Ruhetag in der Natur, wir lesen das Evangelium von den Emmausjüngern, genießen den Frühling, essen und spielen gemeinsam, ...) Die Missionsklarissinnen aus Saratow waren für Obst und Gemüse verantwortlich, die Pfarrer und Kapläne für die Getränke, die Eucharistieschwestern für Brot und Schaschlik. Blauer Himmel an der 5 km breiten Wolga, ein wenig windgeschützt durch noch blattlose Bäume, … Beinahe sechs Stunden verbrachten wir gemeinsam und hatten viel Freude. Da es Arbeitstag im Land war, kam so gut wie niemand an dem abgelegenen Fleckchen an der Wolga vorbei. Ein Mann wäre fast vom Fahrrad gefallen, als er sich auf dem Waldweg zwischen den Fußball spielenden Schwestern durchschlängeln musste. Der Schaschlik war von unseren beiden Armenierinnen zubereitet, perfekt wie in einem Nobelrestaurant. Nein. Ich denke: besser! Die Spiele waren eine Art Generalprobe für die nächsten Kinderwochen in den Sommerferien. Wir haben uns gebogen vor Lachen. Eine Jugendliche aus Bayern, die seit 6 Wochen bei uns in Marx mit den Jugendlichen aus armen Dörfern wohnt, passte gut in die Runde. Morgen kehrt sie leider schon nach Hause zurück. Sie hier in Russland zu erleben, war eine große Freude, denn zu oft sind es Stress-, und Trauermeldungen, die aus dem kirchlichen Leben im Westen hier ankommen, auch wenn fast alle unsere Projekte nur mit Hilfe von dort möglich sind.
Ich freue mich, ein paar spontane Ostergedanken aufs Papier gebracht zu haben. Ich könnte, ohne Übertreibung, noch zwei Seiten weiter schreiben, einfach „so, wie’s kommt“: Über die Kinder in Marx; über die Alten, die ich seit vielen Jahren kenne, und die nach der Messe herzlich gratulierten; über das Dorf, in das ich meine afrikanischen Gästen am Nachmittag nehmen wollte, wo aber wegen des gemeinsamen Ostertermins in diesem Jahr so viele Leute betrunken waren, dass wir das auslassen mussten, über die Gespräche mit Einzelnen, … und darüber, dass es „Marx“ gibt, ich meine, diese Pfarrei mit allem, was in ihr gewachsen ist und wächst, … Der Herr ist wahrhaft auferstanden! Dahinter steckt ein Geheimnis, noch besser gesagt: eine Überraschung!
Nun will auch ich mir Mühe geben, das mit in den Alltag zu nehmen. In 24 Minuten darf das Telefon wieder klingeln. Im Büro sitze ich ja schon, …
Einen herzlichen, österlichen Gruß an alle! Danke allen die uns helfen, danke für jedes Gebet und für jede Spende! Danke für Vertrauen und Kontinuität! Danke für Freundschaft und Liebe!
Ihr + Clemens Pickel