Es ist sehr schön, mit dem Psalmisten in dieses
Selbstgespräch unseres Gottes einzutreten. Er spricht von uns, seinen
Priestern, seinen Geistlichen. Aber in Wirklichkeit ist es gar kein
Selbstgespräch, er spricht nicht allein: Es ist der Vater, der zu Jesus sagt:
„Deine Freunde, jene, die dich lieben, können in besonderer Weise zu mir sagen:
,Mein Vater bist du‘ “ (vgl. Joh 14,21). Und wenn der Herr so sehr daran denkt
und sich darum sorgt, wie er uns helfen kann, dann darum, weil er weiß, dass
die Aufgabe, das gläubige Volk zu salben, schwer ist; sie bringt uns Müdigkeit
und Mühsal. Das erfahren wir in allen Formen: von der gewöhnlichen Müdigkeit
der täglichen seelsorglichen Arbeit bis zu der von Krankheit und Tod,
einschließlich des Sich-Aufreibens im Martyrium.
Die Müdigkeit der Priester! Wisst ihr, wie oft ich daran
denke: an die Müdigkeit von euch allen? Ich denke viel daran und bete häufig
dafür, besonders wenn ich selbst müde bin. Ich bete für euch, die ihr mitten im
euch anvertrauten Volk Gottes arbeitet – viele an ganz verlassenen und
gefährlichen Orten. Und unsere Müdigkeit, liebe Priester, ist wie der
Weihrauch, der still zum Himmel aufsteigt (vgl. Ps 141,2; Offb 8,3-4). Unsere
Müdigkeit geht geradewegs zum Herzen des Vaters.
Seid gewiss, dass die Muttergottes diese Müdigkeit bemerkt
und den Herrn sofort darauf aufmerksam macht. Als Mutter kann sie verstehen,
wenn ihre Kinder müde sind, und denkt an nichts anderes. „Herzlich willkommen!
Ruh dich aus, mein Sohn. Danach werden wir reden… Bin ich, deine Mutter, etwa
nicht hier?“ – Das wird sie uns immer sagen, wenn wir zu ihr kommen (vgl.
Evangelii gaudium, 286). Und wie in Kana wird sie zu ihrem Sohn sagen: » Sie
haben keinen Wein mehr« (Joh 2,3).
Es kommt auch vor, dass wir, wenn wir die Last der
pastoralen Arbeit spüren, in Versuchung geraten, auf irgendeine beliebige Weise
auszuruhen, als sei die Ruhe nicht eine Angelegenheit Gottes. Fallen wir nicht
in diese Versuchung! Unsere Mühe ist kostbar in den Augen Jesu, der uns
aufnimmt und uns wieder aufstehen lässt: „Kommt zu mir, wenn ihr euch plagt und
schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (vgl. Mt
11,28). Wenn einer weiß, dass er, wenn er todmüde ist, sich in Anbetung
niederwerfen und sagen kann: „Genug für heute, Herr“ und vor dem Vater
kapitulieren kann, dann weiß er auch, dass er nicht zusammenbricht, sondern
sich erneuert, denn wer das gläubige Gottesvolk mit dem Öl der Freude gesalbt
hat, den salbt auch der Herr: Er verwandelt seine Asche in ein Diadem, seine
Tränen in duftendes Freudenöl, seine Niedergeschlagenheit in Lieder (vgl. Jes
61,3).
Halten wir uns gut vor Augen, dass der Schlüssel der
priesterlichen Fruchtbarkeit darin liegt, wie wir ausruhen und spüren, wie der
Herr mit unserer Müdigkeit umgeht. Wie schwer ist es, ausruhen zu lernen! Dabei
kommt unser Vertrauen ins Spiel und unsere Erinnerung daran, dass auch wir
selber Schafe sind. Einige Fragen können uns dazu hilfreich sein.
Verstehe ich auszuruhen, indem ich die Liebe, die
Unentgeltlichkeit und all die Zuneigung empfange, die das gläubige Volk Gottes
mir schenkt? Oder suche ich nach der seelsorglichen Arbeit raffiniertere Arten
der Entspannung, nicht jene der Armen, sondern die, welche die
Konsumgesellschaft bietet? Ist der Heilige Geist für mich wirklich „Ruhe in der
Unrast“, oder nur derjenige, der mir Arbeit verschafft? Verstehe ich es, einen
weisen Priester um Hilfe zu bitten? Verstehe ich, von mir selber auszuruhen,
von meinen selbst gestellten Ansprüchen, von meiner Selbstgefälligkeit, von
meiner Selbstbezogenheit? Verstehe ich, mit Jesus, mit dem Vater, mit der
Jungfrau Maria und dem heiligen Josef, mit meinen Freunden, den heiligen
Schutzpatronen, zu sprechen, um mich auszuruhen in ihren Ansprüchen – die sanft
und leicht sind –, in ihrem Wohlgefallen – ihnen gefällt es, in meiner
Gesellschaft zu sein –, in ihren Interessen und Bezugspunkten – sie
interessiert einzig die Ehre Gottes – …? Verstehe ich, unter dem Schutz des
Herrn von meinen Feinden auszuruhen? Argumentiere und plane ich in inneren
Selbstgesprächen, indem ich immer wieder über meine Verteidigung nachgrübele,
oder vertraue ich mich dem Heiligen Geist an, der mich lehrt, was ich bei jeder
Gelegenheit sagen soll? Sorge und mühe ich mich in übertriebener Weise ab, oder
finde ich wie Paulus Ruhe, indem ich sage: »Ich weiß, wem ich Glauben geschenkt
habe« (2 Tim 1,12)?
Gehen wir für einen Moment noch einmal die Aufgaben der
Priester durch, die die Liturgie uns heute verkündet: den Armen die frohe
Botschaft bringen, den Gefangenen die Entlassung verkünden und den Blinden die
Heilung, die Zerschlagenen in Freiheit setzen und das Gnadenjahr des Herrn
ausrufen. Jesaja spricht auch davon, die zu heilen, deren Herz zerbrochen ist,
und die Trauernden zu trösten.
Das sind keine leichten, äußeren Aufgaben wie zum Beispiel
die handwerklichen Tätigkeiten – einen neuen Pfarrsaal zu bauen oder die Linien
des Fußballplatzes für die Kinder aus dem Jugendzentrum zu ziehen… Die von
Jesus erwähnten Pflichten schließen unsere Fähigkeit zum Mitleid ein, es sind
Pflichten, in denen unser Herz „bewegt“ und innerlich angerührt wird. Wir
freuen uns mit den Verlobten, die heiraten, lachen mit dem Kind, das zur Taufe getragen
wird; wir begleiten die jungen Leute, die sich auf Ehe und Familie vorbereiten;
wir nehmen Anteil an den Leiden derer, die die Krankensalbung im Spitalbett
empfangen; wir weinen mit denen, die eine geliebte Person zu Grabe tragen… So
viel Gemütsbewegung, so viel liebevolle Zuneigung ermüden das Herz des Hirten.
Für uns Priester sind die Geschichten unserer Leute kein Nachrichten-Bulletin:
Wir kennen unsere Leute, wir können erraten, was in ihrem Herzen vorgeht, und
indem wir mit ihnen leiden, zerfasert sich das unsere, teilt sich in tausend
Stückchen, ist ergriffen und scheint sogar von den Menschen verzehrt zu werden:
„Nehmt und esst!“ Das ist das Wort, das der Priester Jesu ständig flüstert,
wenn er sich um sein gläubiges Volk kümmert: Nehmt und esst, nehmt und trinkt…
Und so schenkt sich unser Priesterleben hin im Dienst, in der Nähe zum
gläubigen Volk Gottes… das immer müde macht.
Ich möchte nun mit euch einige Müdigkeiten nachvollziehen,
über die ich meditiert habe.
Da ist jene, die wir „die Müdigkeit von den Leuten, von den
Menschenmengen“ nennen können: Für den Herrn war sie, wie für uns, anstrengend,
aber es ist eine gute Müdigkeit, eine Müdigkeit voller Früchte und Freude. Die
Menschen, die ihm folgten, die Familien, die ihm ihre Kinder brachten, damit er
sie segnete; jene, die geheilt worden waren, die mit ihren Freunden kamen; die
Jugendlichen, die sich für den Rabbi begeisterten… sie ließen ihm nicht einmal
die Zeit zum Essen (vgl. Mk 6,31). Doch der Herr fühlte sich nicht belästigt
durch den Umgang mit den Leuten. Im Gegenteil: Es schien, als schöpfe er neue
Kraft (vgl. Evangelii gaudium, 11). Diese Müdigkeit mitten in unserem Tun ist
gewöhnlich eine Gnade, die wir Priester alle „in Griffweite“ haben (vgl. ebd.,
279). Wie schön ist das doch: Die Menschen lieben, mögen ihre Hirten und
brauchen sie! Das gläubige Volk lässt uns nicht ohne unmittelbare Aufgaben, es
sei denn, man verbirgt sich in einem Büro oder fährt mit verdunkelten Scheiben
durch die Stadt. Und diese Müdigkeit ist gut, ist gesund. Es ist die Müdigkeit
des Priesters, dem der Geruch der Schafe anhaftet…, aber mit dem Lächeln von
Papa, der seine Kinder oder seine Enkelchen betrachtet. Das hat nichts von
denen, die sich mit teuren Parfümen auskennen und dich von ferne und von oben herab
ansehen (vgl. ebd. 97). Wir sind die Freunde des Bräutigams, das ist unsere
Freude. Wenn Jesus mitten unter uns die Herde weidet, dann können wir keine
jammernden Hirten mit saurem Gesicht sein und auch nicht – was noch schlimmer
ist – gelangweilte Hirten. Geruch der Schafe und väterliches Lächeln… Ja, sehr
müde, aber mit der Freude dessen, der seinen Herrn sagen hört: »Kommt her, die
ihr von meinem Vater gesegnet seid« (Mt 25,34).
Es gibt auch die Müdigkeit, die wir „die Müdigkeit von den
Feinden“ nennen können. Der Teufel und seine Anhänger schlafen nicht, und da
ihre Ohren das Wort Gottes nicht ertragen, arbeiten sie unermüdlich, um es
auszuzischen und zu verdrehen. Hier ist die Müdigkeit, ihnen entgegenzutreten,
beschwerlicher. Es geht nicht nur darum, Gutes zu tun – mit aller Mühe, die das
mit sich bringt –, sondern man muss die Herde und sich selber gegen das Böse
verteidigen (vgl. Evangelii gaudium, 83). Der Böse ist schlauer als wir, und er
ist fähig, in einem einzigen Moment niederzureißen, was wir geduldig über lange
Zeit hin aufgebaut haben. Hier muss man die Gnade erbitten, das Neutralisieren
zu erlernen: das Böse neutralisieren, nicht das Unkraut ausreißen, sich nicht
anmaßen, als Übermenschen das zu verteidigen, was allein der Herr verteidigen
muss. All das hilft, nicht die Arme fallen zu lassen angesichts des Umfangs der
Bosheit, angesichts des Hohns der Bösen. Das Wort des Herrn für diese
Situationen der Müdigkeit lautet: »Habt Mut: Ich habe die Welt besiegt« (Joh
16,33).
Als letzte – damit diese Predigt euch nicht ermüdet – gibt
es auch die „Müdigkeit von sich selbst“ (vgl. Evangelii gaudium, 277). Das ist
vielleicht die gefährlichste. Denn die anderen beiden kommen daher, dass wir
ausgesetzt sind, dass wir aus uns herausgehen, um zu salben und uns an die
Arbeit zu machen (wir sind diejenigen, die sich kümmern). Diese Müdigkeit ist
hingegen mehr selbstbezogen: Es ist die Enttäuschung über sich selbst, der aber
nicht ins Gesicht gesehen wird mit der gelassenen Fröhlichkeit dessen, der entdeckt,
dass er ein Sünder ist und der Vergebung bedarf: Ein solcher Mensch bittet um
Hilfe und geht voran. Es handelt sich um die Müdigkeit, die das „Wollen und
Nicht-Wollen“ hervorbringt, dass man sich ganz ins Spiel gebracht hat und dann
dem Knoblauch und den Zwiebeln aus Ägypten nachweint; das Spielen mit der
Illusion, etwas anderes zu sein. Diese Müdigkeit nenne ich gerne das
„Kokettieren mit der spirituellen Weltlichkeit“. Und wenn einer allein bleibt,
wird er gewahr, wie viele Teilbereiche des Lebens von dieser Weltlichkeit
durchtränkt sind, und wir haben sogar den Eindruck, kein Bad könne sie
reinigen. Hier kann es eine schlechte Müdigkeit geben. Das Wort der Geheimen
Offenbarung zeigt uns die Ursache dieser Müdigkeit: »Du hast ausgeharrt und um
meines Namens willen Schweres ertragen und bist nicht müde geworden. Ich werfe
dir aber vor, dass du deine erste Liebe verlassen hast« (2,3-4). Allein die
Liebe schenkt Ruhe. Was man nicht liebt, macht müde, und auf lange Sicht
ermüdet es in schlechter Weise.
Das tiefste und geheimnisvollste Bild für die Weise, wie der
Herr mit unserer pastoralen Müdigkeit umgeht, ist die Szene der Fußwaschung:
»Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe
bis zur Vollendung« (Joh 13,1). Ich betrachte diese Szene gerne als die
Waschung der Jüngerschaft. Der Herr reinigt sogar die Jüngerschaft. Er „bringt
sich ein“ in unsere Angelegenheiten (Evangelii gaudium, 24), er nimmt es
persönlich auf sich, jeden Fleck zu säubern, jenen weltlichen, schmierigen
Smog, der sich auf dem Weg, den wir in seinem Namen zurückgelegt haben, auf uns
gelegt hat.
Wir wissen, dass man an den Füßen ablesen kann, wie es um
unseren ganzen Körper steht. In der Weise, wie wir dem Herrn nachfolgen, zeigt
sich, wie es um unser Herz steht. Die Wunden an den Füßen, die Verrenkungen und
die Müdigkeit sind ein Zeichen dafür, wie wir ihm nachgefolgt sind, welche Wege
wir gegangen sind, um seine verlorenen Schafe aufzuspüren und zu versuchen, die
Herde auf die grünen Auen und zum Ruheplatz am Wasser zu führen (vgl. Ps 23,2;
Evangelii gaudium, 270). Der Herr wäscht und reinigt uns von alldem, was sich
auf unseren Füßen angesammelt hat, weil wir ihm gefolgt sind. Das ist heilig.
Er lässt nicht zu, dass es befleckt bleibt. Wie er die Kriegsverletzungen
küsst, so wäscht er den Schmutz, den die Arbeit hinterlassen hat.
Die Jüngerschaft Jesu wird vom Herrn selbst gewaschen, damit
wir uns berechtigt fühlen, „fröhlich“, „erfüllt“, „frei von Angst und Schuld“
zu sein, und so den Mut haben, aufzubrechen und „bis an die Grenzen der Erde,
zu allen Peripherien“ (vgl. Apg 1,8) zu gehen, um diese frohe Botschaft zu den
Verlassensten zu bringen, in dem Bewusstsein, dass er „bei uns ist alle Tage
bis zum Ende der Welt“ (vgl. Mt 25,20). Und lasst uns lernen, müde zu sein,
aber müde in guter Weise!
Rom, St. Peter, 2. April 2015
Quelle: Radio Vatikan