(Der Text ist schon über ein Jahr alt (vom Advent 2008), aber zum kommenden Sonntag vielleicht doch noch geeignet…. )
Seit Jahren gibt es in unserem Priesterseminar in St. Petersburg eine kleine Zeitschrift, die den großen Namen „Berufung“ trägt. Vom derzeitigen Redakteur bekam ich am 15. Oktober, dem Weihetag unserer Kathedrale, aber auch dem Fest der heiligen Teresa von Avila, die Bitte um einen Artikel über Gebet auf meinen Tisch. Als Begründung gab er an, dass ich in meinen Predigten oft davon spreche und eben das Thema Gebet für die kommende Ausgabe geplant sei. Ich freute mich über den aufmerksamen Zuhörer und sagte zu. Ich habe den Text im Deutschen ganz leicht bearbeitet und wage ihn nun weiterzugeben. Vielleicht ist es eine Möglichkeit zur Besinnung, zum (Wieder-)anfang? Schon bald wird Advent. Nach der Ermordung zweier katholischer Priester, Ende Oktober in Moskau, haben wir den Ernst und die Kostbarkeit des Lebens auf besondere Weise gefühlt. Warum bleiben wir dann aber trotzdem, wie wir sind? Wenn die folgenden Gedanken über Berufung und Gebet auch keine konkrete Anleitung darstellen, wecken sie doch hoffentlich zumindest die Einsicht der Einen und die Sehnsucht der Anderen.
Um nun nicht lange nach einem Ansatz für die Zeitschrift unserer Seminaristen zu suchen, könnte man doch unendlich viel und aus vielerlei Richtung über Gebet sprechen, kehrte ich zur Heiligen des 15. Oktobers zurück. Jene große Ordensfrau war davon überzeugt, dass Gott jeder ihrer Schwestern die Gnade mystischen Gebets schenken wird, wenn die Schwestern es nur wirklich wollen und mitarbeiten. Manche von uns winken da gleich ab, fühlen sich nicht angesprochen und meinen, dass sie ja gar keine Mystiker werden wollen. Wirklich nicht? Was denn dann? Durchschnittschristen, weder heiß noch kalt (vgl. Offb 3,16: „Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“)? Das Thema finden wir auch bei dem deutschen Theologen Karl Rahner, dessen vielzitiertes „Der Christ des nächsten Jahrhunderts wird Mystiker sein, oder er wird gar nicht sein“, zu denken und zu verstehen gibt.
„Betest Du gern?“ so frage ich oft junge Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, in ein Kloster oder ins Priesterseminar zu gehen. Ich meine damit natürlich nicht die egozentrische Freude, die manche „Anfänger“ beim exakten Praktizieren von Riten empfinden. Sie stehen eigentlich noch draußen vor der Tür ihrer Seele. Auch will ich mit jener Frage niemandem Angst machen, der sich als schwach und unendlich weit weg von Gott erkennt. Und doch ist die Frage wichtig. Es kann sein, dass jemand hoch intelligent ist, schön reden kann, seit vielen Jahren zur Kirche geht, wegen seiner Talente gefragt und bewundert wird, … aber nicht gern betet. Was ist wohl für ihn dann Berufung?
Und was ist Beten? Teresa von Avila erklärt uns mit einfachen Worten: „Beten ist nichts anderes, als das Verweilen bei einem Freund, mit dem ich oft und gern zusammen bin, weil ich weiß, dass er mich liebt.“ Das sind Worte einer Heiligen. Die sind mit Feuer geschrieben. Und wer eine Berufung hat, spürt das gewöhnlich auch. Er liest die Zeile gern noch einmal: „Beten ist nichts anderes, als das Verweilen bei einem Freund, mit dem ich oft und gern zusammen bin, weil ich weiß, dass er mich liebt.“ – So einfach ist es! Und so schwer! Als ich noch studierte, entdeckte ich ein kleines Büchlein über das Gebet. Es war von einem der ehemaligen Spirituale unseres Seminars geschrieben. Bis heute nehme ich es von Zeit zu Zeit in die Hand, ehrlich gesagt, nicht um etwas Neues zu finden, sondern um es anderen zu empfehlen. Als mir eine Benediktinerin erzählte, dass ihr dieses Büchlein geholfen hat, ihre Berufung zu verstehen, war das für mich nur eine von vielen Bestätigungen für die Kostbarkeit jener unscheinbaren Perle, der „Kleinen Schule des inneren Betens“ von Erich Puzik. Oft habe ich das Buch bei Exerzitien für junge Menschen verwendet, unter anderem im Priesterseminar in Sankt Petersburg und bei russischen Jugendlichen, die ernsthaft über Berufung nachdenken wollten. In wenigen Wochen werden wir das Büchlein endlich in russischer Sprache herausgeben können. Die letzten Worte des Buches wollte ich im gewünschten Text über das Gebet vorwegnehmen. Sie gehören zu den schönsten, die ich je über Gebet gelesen habe: „Beten ist die höchste Tat des Menschen, darum ist es voll von Geheimnissen, Abenteuern und Gefahren; es ist zugleich Gnade und Verdienst, wie jede menschliche Heilstat. Beten ist leicht und einfach, es ist schwierig und mühevoll, Beten ist Prüfung und harte Buße, es ist aber auch die höchste Glückseligkeit, die dem Menschen auf seinem irdischen Pilgerweg zuteilwerden kann. Beten ist die Vorahnung und die Vorübung der vollkommenen Gottesliebe. Diese aber wird die ganze Ewigkeit erfüllen.“
Dann wandte ich mich in meinem Text direkt an die Leser der Zeitschrift „Berufung“, russische Christen, denen die Jahrzehnte der Kirchenverfolgung schon nicht mehr unbedingt aus eigener Erfahrung bekannt sind, die aber von deren Folgen geprägt wurden: Heute wird in manchen Ländern wieder mehr von Gott geredet, als vor Jahrzehnten. Wird aber auch mit Ihm geredet, und mit Ihm geschwiegen? Wie wir gesehen haben, versteht sich das nicht von selbst. Beten muss man lernen und immer wieder üben. Ohne diese Schule wird einem seine Berufung fremd bleiben, unklar, kraft- und freudlos. Darum ist das regelmäßige Beten unverzichtbar für die, die einst als Lehrer des Gebets angesehen werden, d.h. für die Seminaristen im Priesterseminar, (aber auch in den Ferien), und für die, die schon geistliche Lehrer sind, für die Priester. Hierzu schreibt der Autor unserer „Kleinen Schule des inneren Betens“, der ja selbst ein erfahrener Priester war: „Es ist möglich, dass jemand über den Mangel an echtem Gebet Vorträge und Arbeitskreise hält, und doch selbst dieser Untugend verfällt… So kann auch in Klöstern und in religiösen Zirkeln, ja sogar im Klerus die Fähigkeit zum Beten immer mehr zurückgebildet werden, weil man sich keine Zeit dazu nimmt und sich, selbst bei religiösen Feiern, der Betriebsamkeit ergibt. Man hat keine Freude am inneren Beten, wenn man dabei allzu sehr seine Unzulänglichkeit merkt, und gibt es darum schnell auf. Aber welch eine erschreckende Verführungskraft wird sichtbar, wenn das Apostolat, das andere zu Gott führen soll, den Apostel selbst weg von Gott – weg vom Gebet führt! Doch erscheint diese Gefahr nicht erst in unseren Tagen, sie ist ebenso alt wie das Christentum; schon die Apostel müssen, als man sie mit äußeren Caritaspflichten überhäuft – erklären: Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben.“ (Apg 6,4)
Berufung und Gebet gehören zusammen wie Liebe und Leben. Es gibt keine leblose Liebe, wie es auch keine gebetslose Berufung gibt. Wenn jemand nicht gern und oft mit Jesus zusammen ist, weil er weiß, dass der ihn liebt, dann hat er keine geistliche Berufung. Ich weiß, und ich weiß es auch aus eigener Erfahrung, dass es da sehr mühselige Zeiten geben kann. Mühselig für Jesus! Zeiten, nach denen wir, wenn sie endlich vorbei sind, mit beschämender Reue fragen: Jesus, wie hast Du das ausgehalten, ohne mich allein stehen zu lassen, wo ich stand? Es kann sein, dass wir die Worte Petri nicht über die Lippen bringen: „Herr, Du weißt, dass ich Dich liebe.“ (Joh 21,17), erst recht, wenn wir Schuld und Versagen, Trägheit und Angst in uns spüren. Umso mehr möchte ich Sie dann ermutigen zu beten: „Herr, ich weiß, dass Du mich liebst.“
Meine lieben Freunde, seit 47 Jahren bin ich katholischer Christ, seit 20 Jahren Priester, seit 10 Jahren Bischof. Die Versuchungen gegen das Gebet sind durch die Handauflegungen nicht weniger geworden, scheint mir. Aber ich kann sagen, dass ich gern bete. Ich bin weit von der Vollkommenheit im Gebet entfernt, aber der Vollkommene – der Herr – kommt mir im Gebet entgegen. Das hat nichts mit Fühlen oder gar Visionen zu tun. Wenn er z.B. sieht, dass ich mir sehr Mühe gegeben habe, Seinen Willen zu erkennen und zu tun, aber eben deshalb eine wichtige andere Sache nicht geschafft habe, dann kommt es vor, dass er diese Sache selbst für mich erledigt, z.B. eine Predigtvorbereitung, vorausgesetzt, anderes war wirklich noch wichtiger. Es gab Zeiten, da konnte ich sagen, welches Gebet mir am liebsten war, die Texte aus einem Jugendgebetbuch, dann die Anbetung, irgendwann einmal die Psalmen... Heute kann ich nicht sagen, dieses oder jenes Gebet mag ich mehr als die anderen. Im Grunde, d.h. „auf dem Grund“, sind alle Gebete gleich. Dort „unten“ liegt auch der Schatz meiner Berufung, so verstehe ich es.